Rezension einer Rezension -
Hans Schumacher und sein Verständnis einer Textarbeit.
Zugleich der Versuch, eine Replik zu formulieren und eine Diskussion in Gang zu setzen

 

Wenn man ein Buch bespricht, geschieht dies normalerweise mit der Absicht, dem Lektüreinteressierten einen Einblick in Inhalt und Leistung eines Textes zu eröffnen - Schließlich ist das Lesepotential eines durchschnittlichen Alltagsmenschen nach Kraft und Zeitumfang begrenzt, so daß dem Rezensenten eine wichtige Aufgabe zuteil wird: Durch Vorauswahl Wege zu weisen und Empfehlungen auszusprechen - oder eben Warnungen, um den Lesenden vor Irrwegen in der Lektüre zu bewahren.

Dann kann er natürlich auch ein Werturteil über das gelesene Buch formulieren, gewissermaßen als Quintessenz einer inhaltlichen Analyse.

Nicht so Hans Schumacher bei seiner Rezension eines Buches des Odinic-Rite-Gurus Fritz Steinbock über dessen Verständnis und Praxis neuheidnischer Rituale. Bei dieser Rezension erfährt man so gut wie nichts über den Inhalt des Werkes (3).

Um einem Mißverständnis von vornherein vorzubeugen, sei klar gesagt: Ja, es ist nach wie vor notwendig, gegen rechtsextreme Mißbräuche heidnischer Religiosität Stellung zu beziehen. Ja, auch mir ist der Odinic-Rite in höchstem Maße suspekt, zumal, wenn ich an meine eigenen Erfahrungen mit einem Odinic-Rite-Funktionär in Berlin denke (siehe hier).

Aber ich finde, mit seinem hier stattfindenden Bedeutungsgeraune hat Hans Schumacher die Grenze der klaren Auseinandersetzung mit verifizierbaren Inhalten überschritten. Betreten hat er die dunklen Gefilde der Ketzerriecherei, die abschüssigen Klüfte vorsorglicher und mutmaßender Verdächtigungen, die zwar im Bereich des Denkbaren liegen, bei denen aber unklar ist, ob sie sich in der Wirklichkeit des individuellen menschlichen Geistes, der zum Gegenstand der Kritik wurde, auch belegbar sind. So kritisiert Schumacher den einleitenden Satz:

"Jede Darstellung germanischer Rituale von heute kann sich daher nur auf die Praxis einer bestimmten Gemeinschaft berufen und muss dies auch klar deklarieren. Die vorliegende zeigt die Praxis des Odinic Rite Deutschland e.V. (ORD), einer Gemeinschaft mit der programmatischen Selbstbezeichnung »traditionelles germanisches Heidentum in heutiger Zeit«, die den Autor zu ihrem Ewart, dem Hauptverantwortlichen für das Ritualwesen, gewählt hat." (1)

Er unterstellt dieser Umschreibung von Steinbocks Standpunkt vor allem, hier liege eine irreführende Genealogie und zugleich der überzogene Anspruch, Platzhalter einer Tradition zu sein, vor.

Dabei zeigt der Satz, bei Licht betrachtet, nur eines: Es ist eine Relativierung und Abschwächung üblicher alleinvertreterischer Ansprüche, die man ja in der "Germanenliteratur" so häufig findet. Der Satz sagt nur, daß ein allgemeines auf "das Wesen der germanischen Tradition" gegründetes Postulat nicht vorliegt, sondern daß ein solcher diesbezüglicher Wunsch relativiert werde durch den Verweis auf eine konkrete zeitgenössische Gemeinschaft, die dieses Postulat ausspricht.

Wenn also gesagt wird, daß diese Art traditionellen germanischen Heidentums eben nur gültig ist für eine definierte Gemeinschaft, die sich dafür ausspricht, so ist dies von den völkischen Alleinvertretungsansprüchen ariosophischer Gruppen oder gar der Artgemeinschaft, die immer für die "ganze nordische Rasse" spricht (was immer das wohl sein mag) meilenweit entfernt. Zugleich ist es auch meilenweit entfernt von dem Anspruch vieler Wissenschaftler, sie könnten aus der Entzifferung einiger altnordischer Pergamente allgemeingültige Schlußfolgerungen über die Religion der germanischen Stämme ziehen, was für jeden Wissenschaftsgläubigen schlimme Folgen haben kann.

Ein weiterer inkriminierter Satz ist der folgende, bei dem es in der Tat an die Substanz des heidnischen Selbstverständnisses geht.

"Alle Menschen, die Ehrfurcht vor der Natur haben und in ihr das Göttliche finden, wissen auch, dass sie von ihrem Land und ihren Göttern abstammen und mit ihnen verwandtschaftlich verbunden sind." (2)

Aus diesen Darlegungen schöpft Hans Schumacher eine völkisch-rassistische Grundorientierung des Autors. Auch wird der Rekurs auf die "Natur" als biologistische Deutung des hier angesprochenen Kontextes bewertet.

Schumacher deutet den Satz, indem er einen Text von Ulbrich/Gerwin (Geweihte Nächte) zitiert, gleichsam so, als wenn es sich um einen Kommentar zu Steinbocks Äußerung handelt. Eine derartige Collage von Texten, die scheinbar thematisch zusammengehören, ist in diesem Zusammenhang suggestiv und manipulativ. Es ist kein Eingehen auf die mutmaßlichen Intentionen des Autors, sondern eine äußere Etikettierung, die dem Text damit aufgedrückt wird. Das gleiche gilt für Schumachers Verweis auf positive Besprechungen von Steinbocks Buch durch das Eldaring-Mitglied Kurt Oertel und einen Autor der "Jungen Freiheit". Ein Buch ist noch lange nicht damit abgetan, daß ich einen verwerflichen oder "verdächtigen" Rezensenten ausmache. Man könnte z.B. für viele philosophische und belletristische "Bestseller" der deutschen Klassik tonnenweise Rezensionen aus der nationalsozialistischen Ära oder aus DDR-Zeiten ausmachen - ohne damit irgend etwas über den Wert des Werkes ausgesagt zu haben.

Aber bewegen wir nochmals den oben zitierten Satz ("Alle Menschen...") so weit in unserem Herzen, daß damit klar wird, was er meinen könnte und was er nicht zwangsläufig meinen muß.

Zunächst einmal wird hier eine Beziehung hergestellt zwischen Natur, dem Göttlichen/den Göttern, dem Land und den darin befindlichen Menschen.

Der Begriff "Land" ist sicher vieldeutig und kann, wie schon der Terminus Landschaft oder das Adjektiv ländlich andeutet, gattungsbezogen gedeutet werden. Das "Land" ist eine Kategorie, die den Kontext zwischen Menschen, Pflanzen, Tieren, Klima, Geologie etc. etc. umschreibt. Es ist nicht zwangsläufig ein festumrissenes Territorium, auf das eine festumrissene menschliche Gemeinschaft einen Besitzanspruch erhebt. Hans Schumacher deutet es hier begrifflich so - aber es ist nicht die einzige denkbare und mögliche Deutung.

Natürlich ist meine Deutung äußerst konkretistisch und umgrenzt - denn es gibt auf diesem Planeten zehntausend verschiedene geographische Räume, die man dergestalt umschreiben kann.

Wie aber wäre Heidentum als Naturreligion sonst deutbar, denn als konkretes Verhältnis menschlicher Wahrnehmung je konkreter Pflanzen, Tiere, Landschaftsformen in einem genau bestimmbaren Klima ?

Damit ist auch noch nicht verneint, daß sich diese Existenzbedingungen der Landschaft nicht zu ändern vermögen - noch ist damit gesagt, daß lediglich eine bestimmte ethnisch-biologisch definierte Gruppe privilegiert wäre, sich zu dieser Landschaft ins Verhältnis zu setzen und eine andere nicht.

Eine so konkrete Beschreibung von Heidentum könnte uns im Übrigen davor bewahren, solchen höchst waghalsigen Adjektiven wie "germanisch", "keltisch",oder indianisch" zum Opfer fallen. Denn heidnische Naturreligion ist weder eine literarische Kopfgeburt noch eine Form der Ethnomanie.

Es ist natürlich Hans Schumachers großer Vorteil, daß man ihm das Wort nicht im Munde umdrehen kann, weil er in besagter Rezension keine Stellungnahme zu dem abbgibt, was er unter Quintessenz von Heidentum versteht.

Und das ist zugleich auch meine Fundamentalkritik an solchen Gruppen wie dem Rabenclan und dem Steinkreis: Sie sind noch der leisesten Spur rechtsextremer Gesinnung auf der Spur, ohne selbst auf der Meta-Ebene zu formulieren, was sie unter Heidentum verstehen.

Wenn man, und völlig zu recht, die übrigens ziemlich vordergründige Strategie der Neuen rechten kritisiert, sollte man selbst zugleich auch den heimatlosen bürgerlichen Intellektuellen ein ideologisches Angebot machen - und eine menschen- und lebensfreundliche Theorie des Heidnischen formulieren. Läßt man hier ein Vakuum, ist man selbst nur in Traditionspostulate und esoterische Gefühlsduselei verstrickt, werden die vorhandenen Defizite der neuheidnischen Bewegung eben von neurechten Theoretikern ausgefüllt.

Daß Fritz Steinbock ein solcher ist, hat Hans Schumacher nicht beweisen können. Aber es ist ja auch ganz egal, denn Steinbocks zielgerichtete Distanzierung wird ihm ohnehin als Täuschungsmanöver ausgelegt.

In der "Freiheit eines Heidenmenschen" im Heidnischen Jahrbuch (Daniel Junker-Verlag, Hamburg 2006) heißt es ausdrücklich, "...Praktiken, die sich gegen Freiheit und Würde von Menschen richten, sind mit der germanischen Ethik der Ehre nicht vereinbar" und auf S. 156 Abs. 2 wird ferner ausdrücklich Stellung bezogen gegen "völkische" Deutungen der germanischen Religiosität. Ich empfinde also Schumachers "Spökenkiekerei" nach vorgeblichen Motiven Steinbocks als den Versuch, einen eigentlich sehr intelligenten Ansatz, der zugleich einen hohen Reflektionsgrad innerhalb der "Heidenszene" aufzeigt, ins Abseits zu stellen.

Bleiben wir aber weiter bei dem oben inkriminierten Satz: Die Beziehung zwischen den Menschen und dem Göttlichen ist ausdrücklich begrenzt auf jene, "die Ehrfurcht vor der Natur" haben. Ich kann hier keine biologistischen Kategorien erkennen, denn die Zugehörigkeit zu jener Gruppe ist ausdrücklich an eine besondere emotionale oder spirituelle Bewußtseinsleistung gebunden - nicht an den Bios einer wie auch immer gearteten Ethnie.

Ein Verwandschaftsverhältnis zwischen Menschen und Göttern ist natürlich gleichfalls eine starke Metapher. Andererseits ist das Werden eines Menschen, der neben seiner kulturellen Sozialisation auch das Produkt eines bestimmten Klimas, einer bestimmten Flora, einer bestimmten durch Landschaftswahrnehmung geprägten Sinnesart darstellt, damit hinreichend gut umschrieben.

Zu sagen, daß es hier um sein Land und um seine Götter geht, bedeutet noch lange nicht, daß er anderen diese Wechselbeziehung abspricht. Schon gar nicht ist darin Fremdenfeindlichkeit und Ethnozentrismus eingeschlossen.

Zugleich ist aber auch unbestreitbar, daß ein solches Gefüge von Klima, Flora, Fauna, Landschaftsbeschaffenheit eben jeweils regional komplett unterschiedlich ist. Es ist nun mal in Mecklenburg anders, als in Schottland, es ist nun mal in den Abruzzen völlig anders, als in Kappadokien.

Das Wesen des Menschen besteht darin, in dieser Welt zu sein, und das heißt, in einer ganz bestimmten Art und Gestaltung und lebensgeschichtlichen Bestimmtheit und Konkretheit von Welt. Genau das ist heidnische Naturreligion - eine Spiritualität, die eine alles umspannende Weltnaturreligion postulierte, wäre ein lächerlicher, globalistischer Mummenschanz, eine delikate Form intellektueller Onanie - und vor allem: Es wäre ein perfides Negativ des Kulturideals, daß uns der internationale Finanzstalinismus ( frei nach Oskar Lafontaine) als erstrebenswert serviert.

Ich stelle mir ein heidnisches Ideal vor, dessen Menschen ganz und gar in jenem Teil der Welt zu hause sind, in die sie das Schicksal nun mal fallen ließ. Daß diese aber zugleich von solch freundlicher Offenheit und Bereitwilligkeit gegenüber jedem anderen dergestalt an seinen Teil der Welt gebundenen seien, daß sie es diesem ermöglichen, sich der ihren zu öffnen.

Gibt es irgend einen Beweis dafür, daß Fritz Steinbock es anders meint ? Woher sollen wir es denn wissen ? Fragen wir ihn doch einfach !

Zum Begriff der "Abstammung" und der verwandschaftlichen Verbundenheit ließe sich noch einiges sagen. Daß Hans Schumacher ihn biologistisch deutet, ist natürlich eine Wortwörtlickeitsunterstellung, die denn doch den Horizont von Fritz Steinbock erheblich unterschätzt. Natürlich ist der Vorstellungskomplex als mythologische Konstante wohlbekannt - und zwar sowohl bei germanischen und griechischen Überlieferungen als auch in vielen schamanistischen Kulturen.

Daß ich Ausländer als nicht hierher gehörig ausschließe, wenn ich ein Verwandschaftsverhältnis mit "den Göttern des Landes" postuliere, ist eine Schlußfolgerung, die sich ausschließlich im Gehirn Hans Schumachers bewegt. Ich glaube, fast jeder Mitteleuropäer, der über anhängliche Verwandte verfügt, ist heilfroh darüber, daß es für ihn auch so etwas wie Wahlverwandschaft gibt. Wahlverwandschaft bedeutet aber, daß man jemanden ins Auge gefaßt und ins Herz geschlossen hat - es bedeutet nicht, sich einer humanitaristischen Euphorie hinzugeben, die allen und jeden an die Brust drückt - um sich im entscheidenden Augenblick abzuwenden.

Also, um das Ganze auf die Spitze zu treiben: Gibt es unter RabInnen und SteinkreislerInnen jemanden, der sich in ähnlich schlüssiger Weise über Grundansprüche des Heidentums zu äußern vermöchte, so rede er oder sie !

(1)Steinbock, Fritz: Das heilige Fest. Rituale des traditionellen germanischen Heidentums in heutiger Zeit, Hamburg 2004 (Verlag Daniel Junker), S. 13

(2)ebd., S. 27

(3) http://www.rabenclan.de/index.php/Magazin/HansSchuhmacherDasheiligeFest1